BODENHAFTUNG - HIMMELWÄRTS
Kerstin Borchardt
Finissage der Ausstellung „Bodenhaftung Himmelwärts“ mit Arbeiten von Kerstin Borchardt am Sonntag, 21. April 2024 um 15.00 Uhr in der Fabrik.Galerie für gegenwärtige Kunst der Alten Kachelofenfabrik Neustrelitz
Auf den ersten Blick erscheint das Bild „Bodenhaftung“ wie die Sicht einer Polarmöwe auf das Eismeer. Sind das nicht Eisschollen, die dicht aneinander gedrängt im dunklen Nachtmeer treiben? Vielleicht waren sie einst dicht zusammen als massiv erscheinendes Packeis, doch nun driften sie kontinuierlich auseinander, werden in immer kleinere Teile gebrochen und schmelzen dahin.
Zugegeben, dies ist eine Assoziation, der man durchaus bei der Betrachtung der Ölkreidefrottage „Bodenhaftung“ der Künstlerin Kerstin Borchardt träumerisch nachgehen kann. Doch eine Frottage lässt sich von Eisschollen einfach nicht herstellen. Das Prinzip aber, dass im Grunde genommen alles einem unendlichen Kreislauf des Werdens und Vergehens unterworfen ist, genau wie bei den Eisschollen, erkennen aufmerksame Betrachter auch stets im Alltag. Als Teil dieses Alterungsprozesses der Dinge entstehen Verwerfungen, Risse und Furchen - Spuren des alltäglichen Lebens und des Zeitflusses. Kerstin Borchardt haben eben diese Zeichen der Zeit in dem Boden der Galerie für Gegenwärtige Kunst in der Alten Kachelofenfabrik besonders fasziniert. Auch ihr erschien die Erinnerung an die Vorstellung, nur nicht auf die Ritzen betreten zu dürfen, da diese den symbolischen Abgrund bedeuten. Kleinste Bewegungen über viele Jahrzehnte führten auch hier in der Galerie zu Rissen - Bewegungen, wie wir sie mit unseren Sinnen kaum mehr wahrnehmen können, retrospektiv betrachtet an eben diesen grafisch erscheinenden Spuren.
Bei dem deutsch- rumänischen Künstlersymposium „Bun Venit“ des letzten Jahres, wo Borchardt eine der Teilnehmerinnen war, ist sie dieser Faszination erstmalig nachgegangen. Stets mit „Bodenhaftung“ auf die Knie gestützt, hat sie Frottagen auf Papier, Abgüsse mit Wachs und Gips und Transformationen in andere Materialien erprobt. Aus dieser Faszination heraus ist ein intensives Projekt in den vergangenen Wintermonaten erwachsen, mit einem fast topografischen Forschungsansatz.
Teile dieser künstlerischen Topografie sind nun in der aktuellen Ausstellung „Bodenhaftung Himmelwärts“ zu sehen. Aber auch all jene Arbeiten, die ausgehend von diesen ersten Arbeiten, dieses Prinzip aufnehmen und so künstlerisch frei und spielerisch mit verschiedensten Materialien Bilder, Skulpturen und Grafiken entstanden sind - faszinierende imaginierte Landschaften. Und so können die Besucher gespannt sein auf Bilder, auf denen feinste Papiere auf Leinwand ein filigranes Geflecht an Furchen und Ritzen haben entstehen lassen, Abgüsse in Wachs und Gips aus denen kleine zarte Hochplateaus entstanden sind, anregende, geschichtete Farbreste auf Leinwänden und farbige Frottagen, in denen man weit mehr als nur den Boden der Galerie entdecken kann. Interessanterweise stellte sich während der vielen Tagen und Stunden der Arbeit an diesem Ort eine meditative Gelassenheit bei der Künstlerin ein. Die Risse ließen in ihr nicht mehr die kindliche Angst aufsteigen. Vielmehr erkannte sie in diesem Boden lebendige Steine, die sich verändern - genau wie alles andere auch. Aus dieser intensiven Arbeit mit „Bodenhaftung“ stellte sich ein befreiender Zustand ein, in dem die Gedanken transzendierten und „himmelwärts“ gingen. Neues entstand, während Altes künstlerisch betrachtet und transformiert wurde.
Wir freuen uns sehr diese Ausstellung am 21. April um 15.00 Uhr zu beschließen. Zu diesem Anlass wird die Künstlerin eigene Gedichte lesen.
Text: Marieken Matschenz